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Das Prinzip Hoffnung: Hans Zengelers Roman “Gestorben wird später”

   
(Bilbao, den 22. Oktober 2012)

Am 9. Oktober 2013 wurde die Rezension auch auf LYRIKwelt veröffentlicht.

 
Zengeler Gestorben wird spaeter
Was will fast jeder werden, aber eigentlich niemand sein? - Alt. Die Paradoxie löst sich auf, wenn man sagt: Die meisten Menschen wollen lange leben, aber im hohen Alter nicht gebrechlich, unselbstständig und krank werden. Aber ist das eine nicht doch untrennbar mit dem anderen verbunden? Und: Ab wann ist man denn überhaupt alt?

Jedenfalls noch nicht mit 59 Jahren und schon gar nicht, wenn man angeblich ständig für jünger gehalten wird. So denkt Josef Bloch, der Protagonist von Hans Zengelers im Herbst 2012 im Verlag André Thiele, Mainz, erschienenen Roman “Gestorben wird später”. So denkt er, bis plötzlich zwei enge Freunde und ein Schwager-ehrenhalber für immer das Handtuch werfen und bis Bloch selbst wegen eines Kropfes unters Messer muss, sich bis zur Operation (und noch danach) mit der Frage peinigend, ob er nun als Nächster dran sei.

Die Macht, mit der sich ihm die Thematik des Todes und Bilanzierens nun aufdrängt, entspricht dem Ausmaß des In-den-Tag-hinein-Lebens, das Bloch zuvor betrieben hat. Welch ein Glück für den nun panisch nur noch um sich selbst kreisenden Antihelden (warum lässt einen diese Person eigentlich ständig an Molière denken?), dass ihm Ira zur Seite steht, die mit ihrem bescheidenen Einkommen als Buchillustratorin, ihrer Geerdetheit und ihrer Liebe Bloch immer wieder entpathetisierend darauf hinweist, wo’s langgeht.

Was sie jedoch nicht daran hindert, ihrem Geliebten (oder wie sollte man den nicht angetrauten ‘Partner’ treffender nennen?) gelegentlich neue Wege zu empfehlen: “Josef wollte den gleichen Weg zurück. Ira meinte, den Weg kenne man nun doch schon zur Genüge, es sei langweilig, immer die gleichen Wege zu gehen, warum nicht einfach querfeldein? ‘Weil man nicht weiß, wo und wie man da wieder rauskommt’, sagte Josef. ‘Lass dich einfach überraschen’, meinte Ira. ‘Ich verliere nur nicht gerne die Orientierung’, sagte er. ‘Was ein Fehler ist’, sagte sie, ‘denn manchmal muss man die Orientierung verlieren, sonst erlebt man nichts mehr.’”

Kann es eine schönere Parabel für Weltoffenheit und interkulturelles Lernen geben? Hans Zengelers Roman geizt nicht mit solchen Preziosen. Und immer greift er hinein ins volle Leben von heute: Lebenslanges Prekariat, Coaching für Erfolg im Beruf als Beruf für beruflich Erfolglose, TV-Schrott, Patchworkfamilien… alles passt aufs Beste hinein in diesen psychologisch und sprachlich souverän geschriebenen Roman.

Als ich, zufällig auch 59 Jahre alt und nicht selten für jünger gehalten, dieses Buch zum ersten Mal aufschlug, tat ich es nicht ohne Bedenken. Dass die Thematik des Sterbens mit derart tiefgründigem Humor, der von der ersten bis zur letzten Zeile reicht, kompatibel sein könne, vermochte ich mir nicht vorzustellen. Und doch ist es so. Belege? Selber lesen - und dann sich auf den nächsten Teil der Bloch-Trilogie freuen!

P.S.: Das herrliche Titelbild stammt von der Buchillustratorin und -autorin Daniela Kulot.
 
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